Fortschreibung Luftreinhalteplan Frankfurt a. M.

Leitsätze:

‬1. Sowohl der unionsrechtliche als auch der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordern bei der Aufnahme von Maßnahmen in Luftreinhaltepläne einen Ausgleich zwischen dem Ziel der Verringerung der Gefahr der Verschmutzung und den verschiedenen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist dabei nicht durch das unionsrechtliche Zügigkeitsgebot auf seltene Ausnahmefälle höherer Gewalt beschränkt.

‬2. § 47 Abs. 4 a BImSchG verstößt gegen Unionsrecht, soweit danach Verkehrsverbote schon dann als unverhältnismäßig bewertet werden sollen, wenn in dem betroffenen Gebiet der Wert für Stickstoffdioxid in Höhe von 50 µg/mffi im Jahresmittel unterschritten wird.

‬3. Da mit Verkehrsverboten in die Rechte von Fahrzeugeigentümern, -haltern und -nutzern eingegriffen wird, verlangt Art. 14 GG einen gerechten Ausgleich zwischen deren schutzwürdigem Interesse am Bestandsschutz, den Belangen des Gemeinwohls sowie der grundrechtlichen Rechtsposition des Gesundheitsschutzes potenziell Betroffener. Die dazu erforderliche einzelfallbezogene Abwägung ist nicht auf die zeitliche Staffelung einer phasenweisen Einführung von (zonalen) Verkehrsverboten bis spätestens zum Jahr 2020 beschränkt. Dies würde sowohl dem unionsrechtlichen als auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz widersprechen, dass die Anordnung einer Maßnahme im konkreten Einzelfall angemessen und damit zumutbar erfolgen können muss.

‬4. Die Verhältnismäßigkeit von Verkehrseinschränkungen bestimmt sich im Wesentlichen nach der künftig noch zu erwartenden Höhe und Dauer der Überschreitungen des Grenzwerts für Stickstoffdioxid sowie der Minderungswirkung sämtlicher übriger geplanter Maßnahmen, die in einer nachvollziehbaren Prognose zu ermitteln sind.

‬(ZUR 2020, 376, beck-online)

 

Aus den Gründen:

 

‬Der Kläger begehrt von dem Beklagten die weitere Fortschreibung des Luftreinhalteplanes für den Ballungsraum Rhein-Main, Teilplan Frankfurt am Main, der im Jahr 2005 erstmals aufgestellt worden war und in Gestalt der 1. Fortschreibung 2011 bis heute Geltung hat. (…)

‬Am 19. November 2015 hat der Kläger Klage erhoben und diese u. a. damit begründet, dass der ab dem 1. Januar 2010 einzuhaltende, für Stickstoffdioxid geltende Grenzwert von 40 µg/m3 im Jahresmittel an mehreren Orten im Stadtgebiet von Frankfurt am Main überschritten werde. Die bisher ergriffenen Maßnahmen seien nicht geeignet, die Grenzwertüberschreitung so kurz wie möglich zu halten, deren Einhaltung könne nicht einmal für das Jahr 2020 garantiert werden. (…)

‬Mit Urteil vom 5. September 2018 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und festgestellt, weder die derzeit geltende 1. Fortschreibung des Luftreinhalteplans noch der im Klageverfahren vom Beklagten vorgelegte Entwurf für die 2. Fortschreibung des Teilplans Frankfurt am Main genügten den rechtlichen Anforderungen. (…)

‬Auf die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. ist das erstinstanzliche Urteil in dem aus dem Tenor und den Gründen ersichtlichen Umfang abzuändern. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zwar zu Recht zur Fortschreibung des streitgegenständlichen Luftreinhalteplans verpflichtet, das erstinstanzliche Urteil hält der Überprüfung im Berufungsverfahren jedoch nicht in allen Punkten Stand.

 

‬Der VGH Kassel hat nun eine gewisse Grenzwertüberschreitung nun ebenfalls als kurzfristig zulässig angesehen, sich aber nicht auf die 10 %-Grenze des OVG Münster eingelassen. Die Höhe einer noch weiter hinnehmbaren Grenzwertüberschreitung kann nach dem VGH Kassel nur danach bestimmt werden, ob sie innerhalb des Zeitraums für die insoweit maßgebliche Mittelung, also innerhalb eines Jahres, beseitigt werden kann. Das aktuelle Jahr muss somit das letzte Jahr einer Grenzwertüberschreitung sein.

‬(ZUR 2020, 376, beck-online)

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